Ausstellung > Neue Dauerausstellung 2020
"Von Gott wie von einer großen Schraube aufgezogen, surrten sie die Bahnen ihres Daseins hinunter, fraßen, schliefen, und vermehrten sich. Verstand aber besaß keines der feinsinnigen Geräte, auch kein Gefühl und keine Seele; der Himmel blieb ihnen deshalb versperrt."
(Alfred E. Brehm: "Brehms Tierleben". Die schönsten Tiergeschichten, ausgewählt von Roger Willemsen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006)
Reisen Sie in das Deutschland des 19. Jahrhunderts, als man begann die Beziehung zwischen Menschen und Tieren neu zu verhandeln. Im historisch korrekt sanierten Wohnhaus der Familie Brehm von 1864 zeigt die neue Dauerausstellung "BREHMS WELT - Menschen und Tiere" das vielfältige und ambivalente Verhältnis zwischen Mensch und Tier - seit Beginn der Industrialisierung bis in die heutige Zeit. Hier finden wir den Grundstein moderner Verhaltensbiologie.
Mit Beginn der Industralisierung im 19. Jahrhundert wächst das Interesse an den Naturwissenschaften. Und aus der Beschäftigung mit der Natur wächst die Sensibilität für die Tierwelt. In der Welt der Brehms nimmt die Nutztierhaltung zu, Haustiere kommen in Mode und Wildtiere werden in ihrer natürlichen Umgebung seltener. Das hat Auswirkungen auf das Verhältnis von Tieren und Menschen bis in die Gegenwart.
Christian Ludwig Brehm (1787-1864) und sein Sohn Alfred (1829-1884) verkörpern zwei unterschiedliche Generationen in dieser Welt des Umbruchs. Doch so verschieden die Lebenswege des "Vogelpastors" und des "Tiervaters" sein mögen: Sie teilen die Überzeugung, dass es im Leben der Tiere mehr gibt als Ernährung und Fortpflanzung zum eigenen Fortbestand. Sie glauben daran, dass Tiere Verstand und Gefühle haben. Deshalb leisten sie beide ihren je eigenen Beitrag dazu, das Wissen über Tiere und ihre Umwelt zu fördern. Erstaunlich früh werfen Sie erste Fragen zum ökologischen Gleichgewicht, Natur- und Artenschutz auf.
Unsere Beziehung zu Tieren ist alles andere als eindeutig: wir lieben und wir essen sie, verehren und verachten sie, beschützen und fürchten sie. Weil wir uns als die höchstentwickelten Lebewesen sehen, nehmen wir uns die Freiheit, Tiere nach unseren Bedürfnissen verfügbar zu machen. Wir halten sie im Haus, züchten sie als Nutztiere, machen mit ihnen Versuche, verfolgen sie als Jagdbeute oder fangen sie zur Unterhaltung in Zirkus und Zoo.
Ob wir ein Tier als Objekt behandeln, ihm als achtenswertem Geschöpf begegnen oder es als eigenständiges Lebewesen annehmen, ist eine Frage der Perspektive. Christian Ludwig und Alfred Edmund Brehm stehen mit ihren unterschiedlichen Lebenswerken im 19. Jahrhundert für eine Annährung an Tiere als Mitgeschöpfe. Ihr Schutz durch den Menschen ist für sie christiliches Gebot. Die Forschung trägt seit ihrer Zeit kontinuierlich zu einem neuen Blick auf nicht-menschliche Tiere bei.
Die Brehms holen sich wilde Tiere ins Haus, um sie aus der Nähe beobachten zu können. Aus ihrem Wissensdrang, aber auch aus der Freude an ihnen leiten sie das Recht ab, die Tiere zu zähmen und als Haustiere zu halten. In ihren populärwissenschaftlichen Texten über die Haustierhaltung vertreten die Brehms Auffassungen, die Leser*innen über Generationen beeinflussen. Der Nutzen für den Menschen steht dabei über dem Wohl der Tiere.
In mehr als einem Drittel aller Haushalte in Deutschland leben heute Tiere als Freunde und Familienmitglieder. Sie spenden uns Wärme durch Nähe, trösten uns als stumme Gesprächspartner und lustige Unterhalter. Wir identifizieren uns mit ihnen und nutzen sie als Statussymbole.
Singvögel stehen unter Naturschutz. Das war nicht immer so: Bei wohlhabenden Bürger*innen und Adligen sind sie seit dem Mittelalter als Delikatessen begehrt. Armen Menschen bieten sie oft den einzigen Zugang zu tierischen Eiweißen. Am Spieß gebraten, in Butter gesotten, in Suppen oder als Pasteten landen sie auf dem Teller. In Mitteleuropa ändert sich das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Verzehr von Singvögeln ist nun ein Tabu: Aus beliebten Speisen werden gefiederte Freunde. Wissenschaftler*innen führen die Nützlichkeit der Singvögel für die Forst- und Landwirtschaft ins Feld, Tierschützer*innen die Moral. Doch den Ausschlag dafür gibt die Verbesserung der Lebensbedingungen, zu der die verbesserte Fleischversorgung zählt.
C. L. Brehm (1787–1864) zählt zu den bedeutendsten Vogelkundlern seiner Zeit. Der christliche Glaube des Pfarrers ist die Quelle seines Forschungsdrangs. Brehm sucht Gottes Werk in der Vielfalt der Natur. Er sammelt Vögel, um sie vergleichend untersuchen zu können. Dafür legt er Serien mit mehreren Exemplaren einer Art an. Bei Vogelpaaren einschließlich ihrer Jungen bestimmt Brehm Merkmale, an denen man die Tiere unterscheiden kann. Brehm ist seiner Zeit weit voraus. Für seine Herangehensweise erfährt er aber bereits zu Lebzeiten Kritik. Denn in jeder äußeren Abweichung will er Anzeichen für eine eigenständige Art erkennen. Brehms Vermächtnis umfasst mehr als 9.000 Vogelpräparate. Der Großteil dieser Sammlung befindet sich heute in naturkundlichen Museen in New York und Bonn.
Im Pfarrhaus wächst Alfred Brehm in einer Welt des Wissens auf. Von seinem Vater lernt er die Kunst des Beobachtens. Er übernimmt auch den Glauben an eine den höheren Tieren eigene Seele. „Ach! Wenn ich auch so ein berühmter, herrlicher Mann wie Sie werden könnte!!!“, schreibt Alfred Brehm 1849 aus Ägypten an seinen Vater. Er ahnt nicht, dass er dessen Bekanntheit übertreffen wird. Neugierig zieht er in die Welt hinaus, in der die Erkenntnisse der Naturwissenschaften auf breites Interesse stoßen.
Alfred Brehm bietet seinen Leser*innen eine unterhaltsam-literarische Darstellung der Tierwelt. Als freier Autor schreibt er für populäre Zeitschriften und Buchverlage. Brehm wird Direktor eines Zoologischen Gartens und Gründer eines modernen Schauaquariums. Als Forscher und Vortragender reist er um die Welt.
Reisen sind für den Lebensweg von Alfred Brehm von großer Bedeutung. Mit seiner ersten Expedition im Alter von 18 Jahren in den Nordosten Afrikas entscheidet er sich, Naturforscher zu werden. Während des fünfjährigen Aufenthaltes in Ägypten und im Sudan sammelt er Material für seine Tierbeschreibungen und Erfahrungen für seine Tätigkeit als Zoodirektor. Der Reisebericht, den Brehm nach seiner Rückkehr verfasst, wird sein erstes populäres Buch und verhilft ihm zugleich zu seinem Doktortitel. Die Afrikaexpedition prägt das Weltbild Alfred Brehms, weitere Reisen innerhalb Europas und durch Westsibirien befördern seine Karriere. In populären Formaten entwickelt sich Brehm zu einem Erzähler, der über alles schreiben kann.
Zoologische Gärten und Aquarien entstehen in einer Zeit, in der Tiere aus den Lebensräumen der Menschen verschwinden. Seit den 1860er Jahren entwickeln sie sich zu Publikumsmagneten. Stadtbewohner*innen können erstmals wilde Tiere aus der ganzen Welt sehen. Zoos tragen zur Popularität der Naturkunde bei. Alfred Brehm will dort forschen, Wissen vermitteln und sein Publikum unterhalten. Er trifft damit die Erwartungen, die das damalige Bürgertum mit einem Zoobesuch verknüpft.
Bis heute informieren Zoos über die Tierwelt. Mit ihren Züchtungen leisten sie Beiträge zum Artenschutz. Doch das Selbstbild als Bildungseinrichtung und „Arche Noah“ wird inzwischen hinterfragt. Schon Brehms Tempel der Natur, das Berliner Aquarium, verkörpert die Widersprüche der modernen Zoos. Er ist romantisch gestaltet und technisch auf dem neuesten Stand.
Brehms Tierleben ist eines der erfolgreichsten Naturbücher seiner Zeit. Bis heute gilt es als populärwissenschaftlicher Klassiker. Die erste Ausgabe erscheint zwischen 1864 und 1869 als Illustriertes Tierleben. Seit 1876 trägt es den einprägsamen Titel Brehms Tierleben. Alfred Brehm füllt damit eine Lücke zwischen faktengestützten naturwissenschaftlichen Studien und subjektiven Beobachtungen. Als sich die Menschen während der Industrialisierung von der Natur entfremden, entwickeln sie ein neues Interesse an ihr. Brehm befriedigt diese Nachfrage mit einer anschaulichen und unterhaltsamen Vermittlung der Fauna. Namhafte Tiermaler begleiten seine Beiträge mit zahlreichen Illustrationen. Die mit Holzschnitten bebilderte Naturgeschichte des 19. Jahrhunderts wird in neuen Medien fortgeführt und weiterentwickelt. Das Tierleben findet einen Platz in Dokumentationen für Fernsehen und Kino.
Der 1787 geborene Christian Ludwig Brehm ist von 1813 bis bis zu seinem Tod am 23. Juni 1864 als Pfarrer tätig. Er arbeitet i renthendorf sowie in den Filialgemeidnen Hellborn und Kleinebersdorf. Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Bestattungen zählen zu seinen Amtspflichten. Jeden Sonntag hält er Gottesdienste und macht den Gläubigen den Text der Bibel verständlich. Als Seelsorger bemüht sich Brehm um die geistige, moralische und materielle Aufrechterhaltung der Ordnung in seiner Gemeinde. Durch das Pfarramt genießt er dort hohes Ansehen. Die gesamte Familie hat eine Vorbildfunktion. Als Naturforscher erfährt Brehm auch über Renthendorf hinaus große Anerkennung. Seine Beiträge auf dem Gebiet der Vogelkunde sind untrennbar mit seinem christlichen Glauben verbunden. Die Suche nach Gottes Werk in der Vielfalt der Natur ist die Motivation für eine lebenslange wissenschaftliche Tätigkeit. Die Renthendorfer geben ihm deshalb den Beinamen "Vogelpastor".
AUSSTELLUNGSORT
BREHMS HAUS und BREHMS KIRCHE, Renthendorf
PROJEKTLEITUNG
Prof. (a. D.) Dr. Jochen Süss
PROJEKTASSISTENZ:
Kim Janke
Thomas Peter
Stefan Curth
Katrin Hänze
Ulrike Specht
BERATUNG/BEIRAT:
Volker Bauer
Catrin Eberhardt
Prof. Dr. Ferdinand von Eggeling
Prof. Dr. Martin S. Fischer
Enrico Hempel
Dr. Dietrich von Knorre
Dieter Müller
Holger Nowak
KURATOR:
Philipp Bürger, freiberuflicher Ausstellungskurator
AUSSTELLUNG:
beier+wellach projekte, Berlin
KONZEPT, DRAMATURGIE, GESTALTUNG UND KÜNSTLERISCHE BAULEITUNG:
Ruudi Beier
PROJEKTMANAGEMENT:
Birte Schramm
ENTWURF UND PLANUNG:
Margaret Schlenkrich
Ronja Schratzenstaller
LICHT:
Christoph Kappeler
LEITGRAFIK, AUSSTELLUNGSLAYOUT UDN TEXTBUCH:
Josefine Emilia Drager
Katharina Buchhauser
MEDIEN:
Michele Pedrazzi
TEXTE:
Philipp Bürger
RADAKTION UND LEKTORAT:
Flroian Mittelbach
Stephan Ahrens
Till Wagner
Frank Hauke
ÜBERSETZUNGEN:
David Haney
Charlotte-Kathrin Stollberg
TIERPRÄPARATION:
Mathias Krüger
Bernhard Leopold Bock
SZENOGRAFISCHE OBJEKTE:
Frank Fietzek
Stephan Hüsch
BAULEITUNG UND MEDIENPLANUNG:
id3d-berlin, Jörg Scherrmann
EXPONATEINRICHTUNG:
id3d-berlin, Ben Scherkus
AUSSTELLUNGSBAU:
MKT-Möbelmanufaktur, Berlin
GRAFIKPRODUKTION:
Pigmentpool Sachsen, Dresden
ANIMATIONEN:
Yorgos Karagiorgos
FILMAUFNAHMEN:
Museum Alexander König,
Marius von Bock und Nicolai Stein
FOTOGRAFIE
Roland Horn
BUCHRESTAURIERUNG UND FAKSIMILES:
Christoph Roth
www.buchrestaurierung-leipzig.de
Farnk Schieferdecker
UNTERSTÜTZER UND FÖRDERER:
Staatsministerin für Kultur und Medien bei der Bundeskanzlerin
Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Hermann Reemtsma Stiftung
Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie
Thüringer Staatskanzlei
Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz
Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und ländlichen Raum
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Zoologie und Evolutionsforschung
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek
Kulturstiftung der Länder
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen
Sparkassen-Stiftung Jena-Saale-Holzland
Bürgermeister und Gemeinderäte des Zweckverbands Brehm-Gedenkstätte
Verwaltungsgemeinschaft Hügelland-Täler
Superintendent und Gemeindekirchenrat, Eisenberg und Renthendorf
Förderkreis Brehm e.V.
Verein Thüringer Ornithologen
Deutsche Ornithologen-Gesellschaft
Förderverein Denkmalpflege
Landratsamt Saale-Holzland-Kreis
Katharina & Gerhard Hoffmann Stiftung
Architekturbüro Müller & Lehmann
Koordinierungsstelle für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts (KEK)
Museumsverband Thüringen e.V.
LEIHGEBER:
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Phyletisches Museum
Dr. Harro Strehlow, Berlin
Hermann-Krone-Sammlung, IAPP, TU Dresden
Hörner/ Antlfinger
Ina - Institut national de l'audiovisuel
Johannes Franck, Hermsdorf
Komitee gegen den Vogelmord e.V.
LWL-Medienzentrum für Westfalen
Museum Schloss Wilhelmsburg
Neozoon
ORF-Enterprise GmbH
Oberpräparator Naturkundemuseum Erfurt
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Victoria & Albert Museum, London
Zoo Leipzig GmbH
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