Im Jahr 1876 reiste der Naturforscher und Tierbuchautor Alfred Brehm durch den Osten der heutigen Republik Kasachstan. Brehm war Teilnehmer der Westsibirien-Expedition, die im Auftrag des Bremer Vereins für die deutsche Nordpolarfahrt Möglichkeiten der Handelsverbindungen zwischen Europa und Sibirien erkunden und dabei naturwissenschaftliche und ethnographische Forschungen betreiben sollte. Das Museum BREHMS WELT – TIERE UND MENSCHEN begibt sich 145 Jahre danach auf die Fährten Alfred Brehms und widmet der Westsibirienreise eine Sonderausstellung im Nationalmuseum der Republik Kasachstan in Nur-Sultan.
„'WILLKOMMEN IN DER WÜSTE' Mit Alfred Brehm in Kasachstan 1876 / 2021“ stellt Alfred Brehm erstmals einem internationalen Publikum im Rahmen einer Ausstellung vor. Sie behandelt ein Kapitel deutsch-kasachischer Geschichte, das von der Wahrnehmung Westsibiriens und der zentralasiatischen Region durch die deutsche Öffentlichkeit handelt. Im Leben Alfred Brehms ist die Westsibirienreise ein wichtiger Meilenstein. Sie verdeutlicht, dass sich der Naturforscher nicht nur für die Tierwelt interessierte, sondern auch für Menschen in fremden Weltregionen. Ausgangspunkt der Ausstellung ist Brehms unveröffentlichtes Reisetagebuch, anhand dessen die Besucher*innen den Verlauf der Reise mit einem Audioguide verfolgen können.
Im Frühjahr 2021 macht sich der Fotograf Volker Kreidler zusammen mit der Kulturjournalistin Ina Hildebrandt auf den Weg nach Kasachstan. Sie haben das Reisetagebuch Alfred Brehms im Gepäck, um genau die Orte zu besuchen, die Brehm in seinen Notizen beschreibt. Volker Kreidler dokumentiert diese dreiwöchige Rundreise durch die Regionen Almaty, Ost-Kasachstan und Pawlodar mit seiner Kamera und Ina Hildebrandt interviewt Menschen, denen sie unterwegs begegnen. Gemeinsam berichten sie von dieser Reise in dem laufend aktualisierten Blog. Mit der Arbeit Kreidlers schlägt die Ausstellung den Bogen vom 19. Jahrhundert in die Gegenwart. Er konfrontiert den Blick des damaligen Reisenden mit künstlerisch-dokumentarischen Aufnahmen der Gegenwart.
Der Prolog der Ausstellung kontextualisiert die Ausgangsbedingungen der Reise, stellt den Protagonisten Alfred Brehm und seine Reisebegleiter vor und führt dann auf den ersten Abschnitt der Reiseroute. Der Hauptteil der Ausstellung nimmt den Reiseabschnitt der Expedition durch die Regionen des heutigen Kasachstans in den Blick und konfrontiert den Blick der damaligen Reisenden mit der Perspektive des Fotografen Volker Kreidler auf das heutige Kasachstan. Der Epilog stellt den Fokus der Ausstellung dann wieder weiter, blickt auf den weiteren Verlauf der Expedition und resümiert deren Ergebnisse.
Oskar Neumann, Die Mitglieder der bremischen Expedition nach Westsibirien, in: Die Natur. Zeitung zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntniß und Naturanschauung für Leser aller Stände, Heft 13, Halle 1876
Die Westsibirienreise Alfred Brehms unter der Leitung des Naturforschers Otto Finsch verfolgt ein doppeltes Ziel: die Naturwissenschaftler sollen geographische und ethnographische Forschungen anstellen und zugleich die wirtschaftliche Nutzbarkeit der bereisten Regionen überprüfen. Die Verbindung wissenschaftlicher Expeditionen mit wirtschaftlichen Interessen ist nicht neu. Schon Alexander von Humboldt verdankt seine Russlandreise im Jahr 1829 der finanziellen Förderung durch Zar Nikolaus I. Der russische Herrscher verspricht sich von dem berühmten deutschen Geologen Aufschlüsse über die Förderung der Bodenschätze seines Reiches.
Die Expedition des Jahres 1876 ist eine Unternehmung des Bremer Vereins für die deutsche Nordpolarfahrt. Sie findet in dem sibirischen Kaufmann Alexander Michailowitsch Sibirjakow einen finanziellen Förderer und wird von Zar Alexander II. unterstützt. Die Kaufleute aus Deutschland und Russland verfolgen hier ein gemeinsames Ziel. Sie wollen den Handel zwischen Europa und Sibirien fördern. Das primäre Interesse der Expeditionsmitglieder ist das nicht. Weder Finsch noch Brehm und auch nicht ihrem Begleiter Karl von Waldburg-Zeil geht es um die Förderung der Handelsbeziehungen. Sie hoffen auf wissenschaftliche Funde und auf neues Wissen, das sie für sich nutzen können. So tritt Brehm diese Reise mit der Erwartung an, „Material für ein Werk“ und „vor allen Dingen Stoff zu neuen öffentlichen Vorträgen“ zu erhalten. Statussymbole.
Der Reiseabschnitt durch den Osten des heutigen Kasachstans ist für die deutschen Wissenschaftler der ergiebigste. In den folgenden eineinhalb Monaten kommen die begeisterten Jäger voll auf ihre Kosten und auch ihr botanisch-zoologisches Forschungsinteresse wird hier gestillt. Noch dazu erleben sie abwechslungsreiche und eindrucksvolle Landschaften in einer kulturell und politisch im Umbruch befindlichen Grenzregion. Bei alldem vergessen die Deutschen auf diesem Reiseabschnitt ihren Auftrag nicht: Sie beschreiben das wirtschaftliche Potenzial fruchtbarer Böden und mineralhaltiger Bergregionen und lassen sich von ihren russischen Gastgebern von den Fortschritten der Kolonisierung des Landes überzeugen. Ausgiebig berichten die Forschungsreisenden auch über die Menschen des Landes. Den nomadischen Kasachen widmet allen voran Alfred Brehm in der für ihn eigentümlichen Verbindung von Zoologie und Ethnologie ausführliche Beschreibungen über die Beziehung der Menschen zu ihren Tieren.
Auf diesem Abschnitt der Reise sind Finsch, Brehm und Waldburg-Zeil Gäste des Gouverneurs Wladimir Alexandrowisch von Poltoratzky (1830–1886). Der russische General und Kartograf dient von 1868 bis 1877 als Militärgouverneur an der südlichen Grenze Westsibiriens. Von seinem Amtssitz in Semipalatinsk unternimmt er alljährlich gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern Inspektionsreisen in den Altai an der chinesischen Grenze. Die Familie ist den drei Deutschen mit ihrer Ortskenntnis behilflich und begleitet sie über weite Strecken des Weges in den Altai. In den Berichten und Tagebüchern betonen die Reisenden die europäische Bildung und Gastfreundschaft der Poltoratzkys. Organisierte Jagden, unterwegs bereitgestellte Jurten als Nachlager, Gastgeschenke und die Bewirtung durch die Familie bieten den Reisenden Komfort.
„Nördlichste erreichte Stelle an der Podaratal mit Blick gegen die Kara Bai“, Aquarell von M. Hoffmann, nach einer Zeichnung von Otto Finsch, Fürstlich Waldburg-Zeil’sches Gesamtarchiv Schloss Zeil
Die letzte Etappe der Reise führt die drei Deutschen entlang des Flusses Ob in die subarktische Tundra im Norden Westsibiriens. Als sich die deutsche Expedition der Bucht an der Karasee nähert, ist längst klar, dass ihr Erkundungsziel negativ ausfallen wird. Ein Kanalbau zwischen den Flüssen Schtschutschja und Baidarata, der die Karasee mit dem Ob verbinden könnte, erscheint aufgrund schwankender Wasserstände und ungünstiger Bodenverhältnisse nicht möglich. Doch nicht nur dieser Umstand steht den Forschern zufolge einer zukünftigen Handelsverbindung zwischen Europa und Sibirien im Wege. Alfred Brehm widmet sich in seinem Tagebuch immer wieder dem großen wirtschaftlichen Potential des Landes und kommt zu dem Schluss: „Das Gold liegt in Sibirien auf dem Lande wie im Wasser“, aber es fehlt ihm zufolge an Menschen, die dieses Gold bergen könnten. Für Brehm selbst ist die Westsibirienreise gleichwohl eine große Bereicherung. Er nutzt seine Aufzeichnungen in populären Vorträgen und verarbeitet seine Beobachtungen der Tierwelt in der zweiten Auflage von „Brehms Tierleben“.
Die Ausstellung präsentiert Exponate aus dem Nachlass Alfred Brehms. In BREHMS WELT am Geburtsort Alfred Brehms befinden sich unter anderem noch der von Kaiser Wilhelm I. ausgestellte Reisepass Brehms, zahlreiche Postkarten, die Brehm seiner Frau Mathilde während der Reise schrieb, seine Notizbücher und eine großformatige Wandkarte mit der Route der Westsibirienreise, die Brehm für seine populären Vorträge zur Veranschaulichung für das interessierte deutsche Publikum nutzte.
Die Besucher*innen folgen der Reise durch Westsibirien mit den Worten Alfred Brehms aus seinem Tagebuch. Sie können zusammen mit Bildern und einleitenden Texten über den Multimediaguide BREHMS HÖRWELT auf dem eigenen Smartphone abgerufen werden. Der Schauspieler Jan Andreesen spricht Brehm und vermittelt dessen Sicht auf die bereisten Regionen und ihre Bewohner*innen. Neben diesen Texten stützt sich die Ausstellung auf bildliche Überlieferungen der Reise. Der Leiter der Expedition, Otto Finsch, fertigte während der Reise zahlreiche Zeichnungen an, die als Vorlage für den ihm publizierten Reisebericht dienten. Seine Zeichnungen wurden auch als Aquarelle ausgeführt wurden. Einen Kontrast zu diesen romantischen Zeichnungen bieten Fotografien der 1870er- und 1880er Jahre. Fotografien des amerikanischen Forschungsreisenden George Kennan (1845–1924) zeigen die von Brehm beschönigten Verhältnisse des sibirischen Verbannungssystems in einem anderen Licht. Im Archiv der Russischen Nationalbibliothek finden sich einmalige fotografische Dokumente der die drei Deutschen im Altai begleitenden Lidia Konstantinovna Poltoratskaya. Die Aufnahmen der Ehefrau des russischen Gouverneurs bieten den Ausstellungsbesucher*innen ein ergänzendes Bild von der damaligen Landschaft im heutigen Osten Kasachstan sowie der Menschen, denen auch die deutschen Reisenden dort begegneten.
AUSSTELLUNGSORT
Nationalmuseum der Republik Kasachstan, Nur-Sultan
PROJEKTLEITUNG
Prof. (a. D.) Dr. Jochen Süss, Leitung BREHMS WELT
Ruudi Beier, beier wellach projekte
PROJEKTMANAGEMENT
Kim Janke, wissenschaftliche Mitarbeiterin BREHMS WELT
KURATOR
Philipp Bürger, freiberuflicher Ausstellungskurator
DRAMATURGIE, GESTALTUNG UND PRODUKTION
Ruudi Beier, beier wellach projekte
FOTOGRAFIE
Volker Kreidler
UNTERSTÜTZER UND FÖRDERER
Nationalmuseum Kasachstan, Nur-Sultan
Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Nur-Sultan
Verwaltungsgemeinschaft Hügelland/Täler, Tröbnitz
Vielen Dank für Ihre Anmeldung.
Sie erhalten nun stets die neusten Neuigkeiten von Brehms Welt.